Friedhof der HeimatlosenIn den vergangenen Jahrhunderten wurden häufig tote Seeleute an Helas Strand angespült. Manches Mal, wenn das Schiff auf Grund gelaufen war, ertranken sie sogar direkt in Küstennähe, da viele nicht schwimmen konnten. Besonders nachts bei schwerem Wetter, wenn die Schüsse der Knallstation die nahenden Schiffe vor der Untiefe warnen sollte, mussten die Hel'schen Männer hinaus an den Nordstrand und helfen, die Havarierten zu bergen und zu retten.

Wenn ein einzelner Toter anhand von mitgeführten Dokumenten oder Schiffsbezeichnungen identifiziert werden konnte, wurden die Angehörigen oder die Reederei informiert. Aber oft waren Name und Herkunft nicht zu ermitteln. Diese Seeleute waren damit "Heimatlose".

Seit 1498 gab es in Hela eine Gildeordnung (wahrscheinlich von der Heilige Kreuzgilde), nach der an den Strand getriebene Leichen beerdigt wurden. 1597 vereinigten sich die beiden Bruderschaften "Heilige Kreuzgilde" und "Elendengilde", die dann gemeinsam diese Aufgabe übernahmen. Der Begriff "Elende" war übrigens früher ein anderer als heute. Gemeint waren damit allgemein "Fremde" und die Motivation, sich um Ortsfremde zu kümmern, die in Not geraten oder verstorben waren, ergab sich aus dem christlichen Glauben. Ein Begräbnis wurde allerdings auch schlichter abgehalten, als bei Einwohnern. Z.B. konnte laut Kirchenbucheintrag auf das Glockengeläut verzichtet werden.

Erst als sich Mitte des 19. Jahrhunderts in den Seebädern an Nord- und Ostsee der Fremdenverkehr entwickelte, wurden in vielen Orten ausgewiesene "Friedhöfe für Heimatlose" eingerichtet [Link zu Wikipedia]. In Hela wahrscheinlich um ca. 1900 errichtet, lag der Friedhof auf dem Weg von Hela zu "Alt-Hela" im Kiefernwäldchen, an der breitesten Stelle der Halbinsel. Umgeben von einem kleinen Zaun stand ein schlichtes Holzkreuz auf dem Stückchen Land (siehe Bild oben). Auf dem Kreuz war eine mit einem Gedicht versehene Emailleplakette angebracht (s.u.). Frieda Rath (Jahrgang 1906) schrieb in ihren Lebenserinnerungen "Episoden aus dem Leben von Frieda Rath (1906 - 1990)", dass die älteren Schüler [gemeint sind wohl die Konfirmanden] zwei Mal im Jahr mit den Lehrern dort hin gegangen sind, um die Gräber zu pflegen. Aber oft war der Friedhof noch Ziel des Spazierganges, wenn man längst die Schule verlassen hatte.

 

Ablauf einer Beerdigung

Dora Seeger, die Frau des langjährigen Pastors, beschrieb sehr atmosphärisch in ihrer Erzählung: Hela - Ein unvergessenes Land eine Beerdigung auf dem Friedhof der Heimatlosen:

"Es war im Jahre 1910. Der Tag neigte sich schon zum Abend und aus der blühenden Heide wehte der berauschenden Duft, den der Sonnentag herausgelockt. Die ernsten, breiten Kiefern standen im Abendgold. Fern vom Dorf her kam der Klang der Abendglocken, vom Wind getragen. Wir standen lauschend auf dem kleinen Friedhof im Wald, vergoldet leuchtete das Meer durch die Stämme, wie eine Verheißung. Drei schlichte Grabhügel vor uns, darauf nur Nummern: 1 – 2 – 3, daneben ein offenes Grab, in das wir den vierten Namenlosen betten wollten. Wie lange mochte es her sein, dass das heute so stille Wasser in schweren schwarzen Wogen nachts über dem Boot des Heimfahrenden zusammenschlug und ihn und seine Gefährten begrub? Der letzte Sturm hatte den verstümmelten Leichnam an den Strand gebracht. Da fand sie ihn, kein Name, kein Erkennungszeichen, nur ein paar neue Stiefel, die mit begraben werden mussten. Niemand hatte sich gemeldet als der traurige Fund bekanntgegeben wurde. Einige Kinder, die wie lichte Blume in der roten Heide saßen, bemühten sich um den schmucklosen Sarg, der in der geöffneten Tür der kleinen Leichenhalle schon halb draußen stand. Sie hatten versucht, grünes Moos rund um den Rand des schwarzen Sargdeckels wie eine Girlande zu legen. Ungeschickt hatten sie es gemacht und waren auch erst halb fertig, als die braun gebrannten, ernsten Männer herzutraten, ihr Haupt entblößten und dann den Sarg aufhoben, um ihn in das geöffnete Grabe zu tragen. Nun fiel noch ein Stückchen Moos nach dem anderen ab und doch war das wenige Grün, das haften blieb, wie ein Trost. Ein Vogel sang verloren sein Lied, der letzte Glockenschlag verhallte, da klang es auf, gesungen mit rauen Kehlen und hellen Stimmen das alte Sturmlied. [...]

Ein Zagen lief durch unsere Seelen. Wird auch einer dieser starken Männer, der ihren Gefährten jetzt betten, einmal ein solches Begräbnis in fremder Erde haben? Und dann nach einem Augenblick der Stille – auch Wald und Meer schienen den Atem anzuhalten – kam ein Gotteswort zu uns und fand Widerhall in unseren Herzen: „Freuet euch, dass eure Namen im Himmel angeschrieben sind“. Das Amen verklang. Die kleine Trauergemeinde ging heim."

Um 1920 befanden sich hier ca. 10 Gräber, als das Gelände für die Erweiterung des Ortes bebaut wurde.

 

Gedichte zum "Friedhof der Heimatlosen"

Text auf der Gedenkplakette:

Wir sind ein Volk vom Strom der Zeit
gespült ans Erdeneiland,
voll Unfall und voll Herzeleid
bis heim uns holt der Heiland.

Das Vaterhaus ist immer nah,
wie wechselnd auch die Lose,
es ist das Kreuz auf Golgatha,
Heimat für Heimatlose. 

 

Der Dichter Eduard Pietzcker hat 1906 den Friedhof der Heimatlosen in seinem stimmungsvoll illustrierten Gedichtband "Hela - Ein Liederkranz" verewigt:

 

Copyright © 2015-2024  - Halbinsel-Hela.de - Orts- und Familiengeschichte . Alle Rechte vorbehalten.