„Tante Eva“, gebürtige Hoffmann, stammte aus der Danziger Niederung und heiratete in den 1920er Jahren in Hela Gerhard Hallmann. Schon hoch betagt, in den 1980er Jahren, hat ihre Nichte Ortrun sie zum Leben in Hela und zur Familie Hallmann befragt und ein Tonbandprotokoll angefertigt. „Tante Eva“ erzählt unverblümt; von dem harten Leben ihrer Schwiegereltern, dem Wert von Bildung, von der Seefahrerei und der Fischerei, von der Arbeit in Gasthaus und Gemischtwarenladen; und von der Nerzzucht, mit der sich viele Helenser ein weiteres wirtschaftliches Standbein schufen. Aber als sie dachte, dass nach der geglückten Flucht in den Westen ein neues, sicheres Leben aufgebaut werden könnte, schlug das Schicksal erneut zu.

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Tante Eva erzählt von unserer Familie Hallmann in Hela. Tonbandprotokoll; aufgezeichnet von Ortrun Barran geb. Hallmann ca. in den 1980er Jahren.

Einleitung: Wie kam Tante Eva nach Hela und wurde eine Hallmann?

Einer der Brüder von Papa, Ernst Hallmann, war Gerhard. Er war verheiratet mit Eva Hoffmann, die aus der Danziger Niederung stammte. Tante Grete hatte die Heirat vermittelt, indem sie einen ihrer großen Lastautos "anspannte" und eine Reihe von Verwandten und Bekannten auflud. "Wir fahren zum Lehrer Ernst nach Ostpreussen, wer will mit?"

So etwa, vermuten wir, mußte sich das abgespielt haben, denn eines Tages erschien sie mit einem Lastwagen voller Leute bei uns zu Hause in Thierberg Abbau [Anmerkung: Ein Ort ca. 80 km süd-westlich von Danzig]. Es war ein wunderschönes Ereignis und ein fröhliches Treiben. Jeder suchte sich zum Schlafen, was er fand, die jungen Leute und Kinder schliefen in der Scheune, alle wurden untergebracht. Auf diese Fahrt hatte sie auch Eva und Gerhard mitgenommen, damit die beiden sich kennenlernten, nachdem sie über den Zweck der Reise sehr wohl informiert waren. Eva war auch nicht abgeneigt, denn sie erzählte, in ihrem Ort wurde ihr gesagt: Wer einen Hallmann heiratet, heiratet gut, das wären gute Menschen. (Dasselbe sagte übrigens auch Lore, die Frau von Karl, dem Sohn von Bäcker-Max, dem Bruder Papas. Sie war selbst Helsches Kind und sagte dasselbe wie Eva, deshalb hat sie Karl geheiratet.) Die Ehe von Eva und Gerhard war sehr gut, sie hatten drei Töchter. Eva hat sich mit den Hallmanns und Hela völlig identifizert. Sie war eine fröhliche Natur, die überall beliebt war und an die wir immer noch mit Freude und Herzlichkeit denken.

Viele Jahre nach der Flucht auf Kuttern wohnte Tante Eva in Kappeln a.d. Schlei in Schleswig Holstein. Onkel Gerhard hatte in Hela eine Räucherei und eine Konservenfabrik. Nach der Flucht wollte er sich wieder eine Grundlage schaffen. Er und Tante Eva hatten begonnen ein Häuschen zu bauen, und er begann mit einem andern Helschen auf einem Kutter, den sie zusammen angeschafft hatten (einer hatte einen Motor mitgebracht, der andere den Schiffskörper geliefert), zu fischen. Der Kutter ging mit den beiden Fischern in der Doggerbank [Anm.: Ein fischreiches Flachwassergebiet in der Nordsee] unter.

Ich bat Tante Eva, mir zu erzählen, was sie noch von unserer Familie wußte. Sie erzählt:

 

"Die Jungens müssen Bildung haben"

"Gerhards Mutter war ja eine Frau, die von den Helschen Müttern schon immer dafür gesorgt hat, daß die Kinder was lernen sollen und Bildung haben sollen. Sie war die ... stell dir mal vor ... in den Zeiten! .... dein Vater, Ernst Hallmann, Max der Bäcker nach Danzig Bäcker lernen, eine Bäckerei sollte er aufmachen, Wilhelm Hallmann wie dein Vater höhere Schule und. Lehrer ... Ihr Ziel war Lehrer. Karl Hallmann, von Hela weg, und denn sind sie in die Stadt, ihre Bildung sollten sie haben, lernen. Denn wurden sie: Ernst Lehrer, Wilhelm Lehrer, Max Bäcker-Max und denn ist ja Onkel Karl, den hat sie auch schon so weit gehabt, der ist ja denn gefallen, Karl Hallmann, nicht? - na ja, der sollte auch Lehrer werden. Also Lehrer, das war ja für Hela so ein Begriff. Familien die wohlhabend waren, die wollten ... , da war dann immer "ja, wir können sie Lehrer werden lassen". Und dazu gehörten ja nun dein Vater, Karl Hallmann, und die von Paul Hallman, die fingen auch schon an, daß ein Sohn Lehrer wird. Naja, und denn ist sie (Anm.: Tante Eva spricht hier von meiner Großmutter, Johanna geb. Eller) jeden Monat dann zur Post gegangen in Hela. Sie hat das Geld auf die Post getragen immer für die Söhne abgeschickt, nicht? Jedem nach Danzig geschickt, das kostete ja, und damals waren keine, wie hieß das nochmal, Bafög und keine Stützen dafür. Aber sie war ja so eine Tüchtige und die Erkenntnis hat sie schon gehabt, 'die Jungens müssen Bildung haben, lernen und Bildung haben'. Mutter.

 

Seefahrer

Du hast euren Vater, Karl Hallmann, der ist ein guter Mann gewesen, ein guter Seefahrer. Der ist von jung an ... die mußten ja in Hela ... in Hela war die Fischerei und denn das bißchen Badegäste, das war der Wirtschaftszweig, nicht? Und wenn die Jungens aus der Schule kamen, dann hieß es erstmal: "Nu fahrt erst mal" nich? Denn haben sie ihren Seesack gepackt, denn sind sie nach Hamburg, und dann ging es auf die großen Dreimaster. Das war auf die großen Segler, ... und hier bei uns im Zimmer hing ja auch das eine Bild – um Kap Horn, und denn hat Gerhards Vater so einen Umgang gehabt mit den Buren, daß er, wenn er von der großen Seefahrt gekommen ist, dann hat er schon angefangen, hat er eine Liste von dort gehabt, ein Schreiben. Den Buren ging's ja sehr schlecht, die kamen ja hinter Stacheldraht und alles. Und wenn sie drüben waren, in Übersee nach ihren große Fahrten, wurden sie erst wieder seeklar gemacht von Schiffszimmermännern und so, die großen Viermaster. Und da haben sie den Kontakt mit Buren gehabt. Die Buren, das waren Zimmerleute und so, und da haben sie mitbekommen, wie es den Buren ging da bei den Engländern, wie sie unterdrückt waren. Und da hat Vater eine Liste gehabt und da hat dann Gerhard mit - mein Gerhard war ja der jüngste Sohn - und er hat gesagt: „mein Vater war so gut, weißt Du, der hat Listen gehabt und ging für die Buren bei wohlhabenden Leuten die Listen vorlegen und hat Geld mit rüber bekommen für die Buren". Ja, und dann, wenn er zurück kam, ist er zum Pastorat: "Hier Herr Pastor, hier ist die Quittung". Von einem evangelischen Burenpastor wurde ihm das dann bescheinigt. So war Gerhards Vater, Euer Großvater, ja.

 

Gasthaus und Gemischtwarenladen

Und sie, Mutter, mit ihrem krausen Wuschelkopp, die konnte ... erst mal die Räucherei. War ja damals noch nicht so groß, dann das Geschäft Dorfstr. 49, Gasthaus und Gemischtwaren, und denn wenn der Lachs da stand in Hela, das war ja nu die Danziger Bucht war auch eine große Lachsfischerei. Da kamen die Pommerschen von Rügenwalde, von Stolpmünde, da lag in Hela der Hafen voll von anderen Kuttern zum Lachs fangen. Außen von Hela Lachs angeln, da haben sie Angelzeug geworfen. Und was glaubst Du, - der Lachs ist ja der edelste Fisch, nich? - und dann haben sie Lachse gefangen. Ja, aber wenn Sturmtage ..., wenn ein, zwei Tage Sturm war, denn war ja das Geschäft bei Gerhard zuhause, bei seiner Mutter der "Krug", -Gemischtwaren-, das war voll voll Schweden. Voll Dänen. 'de Lachs steit in de Danziger Bucht, nich' ? Von Danzig hoch bis Pillau da stand der Lachs, nich' ? Und dann ham' se ja Lachs gefischt und saßen abends aber ... kauften ein ... in dem Gemischtwaren ... und der Krug war voll. Sie hatte ja Hilfe, sie hatte kaschubsche Mädchen, aber Scherhaus aus Hamburg,  der hat mir erzählt, was glaubst Du wie Mutter Hanna Hallmann geborene Eller, was das für ne Tüchtige war. Und dazu bekam sie noch jedes and're Jahr en Kind, nich' ? Aber sie hat auch Personal, kaschubsche Mädchen, und Tante Grete war ne Tüchtige und sorgte auch mit, solang sie nicht verheiratet war.

Ja, und abends sind die Dänen und Schweden nich gleich wieder an Bord. Das waren ja so ne großen Fahrzeuge damals alles, und weißt du, dann ist sie morgens aber als Erste runtergekommen von oben, nich? Denn haben die Schweden und die Dänen, die saßen in der Gaststätte und tranken allein weiter und legten ihr Geld auf den Tisch, das ist wahr, wußten, was zu zahlen war, und Großmutter Johanna Hanna Eller, jetzt Hallmann, die kam morgens früh runter, sagt Karl Scherraus, Danzig, der war da ........ da hatte sie so ´ne Schürze um mit so großen Taschen, so ´ne schwarze Alpaka, so ´ne Bindeschürze, dann hob se so die Schürze hoch, denn ging se in die Gaststuben rein und dann machte sie immer so ... sie scharrte das Geld in die große Schürze. Dann ging sie wieder nach oben. Sie war ja auch nicht die Schlankste, und dann kam sie wieder runter und machte wieder so. Das hat Karl Scherhaus mir erzählt, „das kannst Du mir glauben, Eva, so tüchtig war die Frau".

 

Sechs Söhne

Aber am Ersten zur Post! Dann ging sie auf die Post! ne Tasche, Herr Lull, ein Lehrer, hatte die Post auch noch, zur Hälfte, ja, und da zahlte sie dann ein. Nu  waren die Jongens doch die vielen Söhne, nich? Ernst, der BäckerMax, Wilhelm, der Karl und der Gerhard und Hermannchen, der Jüngste, der sechste Sohn ist ja verstorben, nicht? Dann ging sie, wenn sie einkaufte zum Beispiel, wenn die Rummelsburger kamen nach Hela, das waren sone aus so ner Tuchgegend hinter Leba, Stolp, da. liegt Rummelsburg, und da war so Tuchindustrie, Flanell und sowas, auch Anzugsstoffe dunkelblau, da hat sie dann ... Kopmann, "eck hew ja da Jungens, nich? Eck met hewe, eck kann nich nehme so drei Meter!" Da hat sie ganze Ballen Stoffe genommen, und da war der Schneider, und da hat der Schneider für die Jungens gleich ein Anzug und zwei Hosen, hat sie immer gleich machen lassen. Stell Dir mal vor wie klug, nich? Ja!

 

Rothschild

Und ihr Mann, Karl Hallmann, der trug immer einen roten Bart, also hatte er ... damals trugen sie denn Bärte, und da hatte er ihn richtig rotbraun, wie Barbarossa, und da hatte er von der Seefahrerei sich immer so ne Panamahüte mitgebracht, hatte auch gern so ne Strohhüte getragen und da haben mir pommersche Fischer in Saßnitz erzählt: „ Wissen sie, Frau Hallmann, wie Ihr Schwiegervater hieß für uns in Hela?" Ich mußte in Saßnitz manchmal zur Genossenschaft runter, da waren Pommersche im Büro, die kannten alles von Hela und da haben sie dann zu mir gesagt: "Frau Hallmann, Ihren Schwiegervater ham' wir Rothschild genannt." Hallo! Siehste, Rothschild. Erstmal sein roter Lockenbart, wie heute mein Enkelkind, Christa ihre Kleine .... und die hat einen ganz roten Lockenkopf, kupferrot wie der Bart von ihrem Großvater. Ja, und denn haben mir diese Fischer erzählt: "lhren Schwiegervater nannten wir Rotschild." Erstemal wegen dem schönen roten Bart, gelockt, gepflegt, dann ein Panamahut, den er sich von der Seefahrerei mitgebracht hat, aus Stroh, damit ging er.

 

Haus Eva

Und dann war er ja auch wohlhabend. Aber er war gut, er hat immer geholfen und hatte gerne kleine Häuser. Wenn mal ein altes Haus verkauft wurde in Hela, denn hat er kleine, alte Fachwerkhäuser, Fischerhäuschen gekauft, und davon hat Otto Hallmann, diese andere Verwandtschaft ... da war manchmal ... und die brauchten das Geld und dann hat er immer so Grund und Boden gekauft. Auch wo wir gebaut haben denn, also Gerhard, mein Gerhard, das Haus, das war auch so von solchen ... das war unten an der Räucherei unser 'Haus Eva', nich? So war das. Du weißt Bescheid mein Kind, nich?

 

Kirchgang

Ortrun: ,,Ich hab niemals so von den Großeltern eigentlich mal etwas gehört."

Tante Eva: „Ja, ich erzähl das Meinen auch so, Ortrun, denn ich freu mich und sie freun sich, sie wollen das gerne hörn. Und Christa sagt: „Mutti erzähl uns noch was". Und sieh mal, mein Mann, dein Onkel Gerhard, war am längsten zu Hause mit ihr (der Oma). Sie wurde alt. Dein Vater und so die waren schon ins Leben gekommen, ne ? Ordentliche Lehrer und ordentliche ... und dann hat sie ja immer alles so erzählt Onkel Gerhard, nich? und Gerhard mit mir, nich? Und ich denn auch mit ihr, nich? Und sie war -

„Warst Du die einzige Quelle".

"Ja. Und ist mir das so in guter Erinnerung geblieben. Denn sieh mal, ich hab ja auch danach getrachtet. Zum Beispiel, wie ich nach Hela heiratete von Danzig, da hat sie auch was mit mir getan, was ich nie vergessen werde. Dann is sie - in Hela war ja das, der Kirchgang war ja wichtig in dem Ort - da hat sie mich zum Beispiel in die Kirche mitgebracht, und dann hat sie zu mir gesagt: "Jetzt geb ich Dir meinen Platz, Eva, und ich nehm den von meiner Mutter, und ich möchte doch, Eva, daß du meinem Platz Ehre machst". So hat sie mir gesagt. Das habe ich auch gehalten. Alle vierzehn Tage war ich auch auf dem Platz. Und so habe ich das auch gehalten solange wir in Hela gelebt haben. Ja, so war das. Das warn noch Sitten da, ja.

 

Großeltern-Elternhaus

"Weißt Du eigentlich von den Erzählungen der Großmutter noch was über deren Elternhaus oder vom Großvater?"

"Vom Großvater Eller?"

"Ja, von seinem Vater."

"Von ihrem Vater? Ja, also ihr Leben war ja nich so - von ihrer Mutter aus - das war nich so leicht. Ihr Vater, der alte Eller, ist ja Bürgermeister auch gewesen, ist auch Vormann auf nem Rettungsboot gewesen. Das Rettungsboot, das war ja damals so noch 'n großes Boot, das ihre Mannschaft hatte, und da ist er Vormann gewesen. Das war so 'n Ehrenposten, und bei dieser Rettungsbootgeschichte ist ihr Vater mal so verunglückt, Jakob Eller.

"Bei so einer Rettungsaktion?"

"Ja, bei ner Rettungsaktion verunglückt, und da ist die Großmutter Eller früh Witwe geworden, Oma Hallmanns Mutter. Da war dann deine Großmutter Hallmann, Hanna Eller und denn Tante lda, die hatte denn ja den Förster geheiratet, Faber, ein junger Förster aus Rositten, der kam nach Hela und war Forst ... Und den hat Tante lda dann geheiratet, und dann war ein Sohn, Jakob Eller, das war denn der einzige Bruder. Und dieser Bruder Jakob Eller, der war Marineinspektor, ist der geworden, der war denn nach Hela in Kiel ?, erst in Danzig und dann in Kiel, das war der Vater von Otto und Hans Eller, und der 'war der einzige Sohn, der einzige Bruder von Eurer Großmutter Hanna Hallmann geb. Eller. Ja, von Hanna Eller die Mutter.

"Also meine Urgroßmutter."

"Und Großmutter Eller lebte in einem ...-Dorfstraße 49, das war das Elternhaus von Deinen Eltern und meinem Gerhard, und daneben war ein kleines, das übernächste Haus, ein weißes Fachwerkhaus, und da wohnte Großmutter Eller. Das war Großmutter Eller ihr Haus. Und sie bekam ... , da waren die Renten ja nicht so, sie bekam ne kleine Rente, von einer Seegesellschaft bekam sie eine kleine Rente. Hat sich aber immer ... hat ne Wiese gehabt, da kannste mal sehen, wovon sie sich zwei Kühe halten konnte. Und da hat sie immer Milch noch verkauft in Hela und hat auch noch immer ein Stübchen im Sommer vermietet. Na, dazu kam nu noch, daß ihre Töchter Johanna Eller geb. Hallmann den ... euern ... meinen Mann sein Vater nun heiratete, das war Karl Hallmann, und da hat se ganz gut heiraten können, nich, denri der hat sich erst mal sein Geld zusammengefahren auf der See, und denn kam er, ist er Ende zwanzig gewesen, hat er gesagt: jetzt muß ich heiraten, such mir en Mädchen und das war denn Hanna Eller. Und denn ham se immer von ihm gesagt: er hat sich erst 's Geld zusammengefahren und denn hat er sich das Mädchen gesucht, unsere Mutter Hallmann, die Hanna, und dann hat er gleich angefangen im übernächsten Haus, und da war ihr Geschäftssitz schon, nich? deiner Omas, meiner Schwiegermutter. Da hat sie schon angefangen im Geschäft, in de Gaststätte und· Sie war diejenige...

Ortrun: "Und da war hinten noch so ein Saal dran, ne?"

Tante Eva: "Das wurde angebaut, später".

Ortrun: "Das war so zum tanzen, ne?"

Tante Eva: "Ja, ja, das wurde später angebaut. Aber vorne nach der Straße alles, da waren ja Lindenbäume und da standen auch 'n paar Bänke und Stühle noch ...

Ortrun: "Aber die haben dann oben noch Filme gezeigt."

Tante Eva: "Ja, das war im Gasthaus. Aber Großmutter Eller hatte immer das Kleine, das übernächste, nich? Und Großmutter Eller war ... da gingen se ja immer denn, nich? Wenn Onkel Wilhelm in Ferien kam und dein Vater, denn haben diese Jungens immer ... „Ja wir müssen Großmutter Eller das Holz klein machen für'n Winter". Ja, das hamse immer gemacht, Wilhelm, auch Ernst. Und Max lernte ja dann in Danzig Bäcker. Na, der hatte ja dann immer, wenn er nach Hause kam von Danzig, genug zu tun mit dem Kuchenbacken, mit dem Backen, jaja. Und dem kauften sie dann auch das Grundstück, dort drunter, auf der Dorfstraße. Dann kauften sie für Max ein Grundstück (da hat Tante Grete dann mit dazugetan (?) ) ... und da haben sie denn dem geholfen, daß er erstmal die eigenen Bäckerei hatte, nich? Das war denn Max. Na ja, und Tante lda hatte Glück, Tante lda Eller, Großmutter Ellers Tochter lda, die heiratete denn einen Förster aus Rossitten, das war ja auch schon ganz gut versorgt, nicht? Die wurde denn Försterfrau, der Sohn wurde ... denn nach Danzig hat sie den denn geschickt zur Ausbildung. Nachher war er in Kiel und dann auch wieder in Danzig. Man nannte es Marineinspektor, Jakob hieß er, Jakob Eller.

 

Nerzzucht

"Und weißt Du noch etwas von dem Karl Hallmann, also deinem Schwiegervater, dessen Eltern?"

"Nein. Also Karl Hallmann, mein Schwiegervater, der mit dem Rotschild ... da wußte ich bloß von immer, daß der zwei Brüder in Hela hatte. Das war Paul Hallmann und das war Daniel Hallmann und mein Schwiegervater Karl Hallmann. Drei Brüder, und jeder hatte sechs Söhne und zwei Töchter. Ich sag: mein du liebe Güte, stell Dir mal vor, wenn die alle hiergeblieben wären, sagte ich zu Gerhard. Ich sag Gerhard, nu bist Du hier als Jüngster und Bäcker Max mit der Bäckerei, und die Lehrer sind nu schon nach Ostpreußen als Lehrer gekommen, nich? Ernst, Wilhelm und Karl, das sind schon drei, stell Dir mal vor, die wären alle hier im Dorf geblieben, nich? Paul Hallmanns blieben alle, nich? Weil die ... da wurde auch immer einer Lehrer von Paul Hallmanns ... und dann die waren ... Die lernten was und dann kamen sie immer wieder zurück. Walter fiel aus dem Kirschenbaum, aus dem Obstbaum, Walter Hallmann, und wurde gehbehindert. ... Dscho wat mokt he met dem Dschung.? Ju mot em ene Stadt tschcke, he mot en Posten ham, wat lehre. So, Kreissparkasse Danzig, da lernte er. Da hat er ausgelernt, Walter Hallmann, war bestimmt kein Dummer. Der hatte die Nerzzucht angefangen in Hela. Der hat angefangen mit der Nerzzucht ... Und wie wir denn weg mußten von Hela, da waren über 20 Nerz-Farmen. Die größten waren von Bernhard Kohnke, denn erstmal Walter Hallmann. Aber zuerst, du, wie er denn auf der Bank war und schon ausgelernt hatte und seine Stellung nun erstmal hatte, du, da war doch soviel Hering im Herbst. Der Herbsthering, der lag am Strand wie Berge Silber, nich? Nachdem ist denn auch noch wieder so viel Lachs gekommen, du und denn haben die ... da gingen die denn ... nach Danzig ... angerufen von der Post. Da hatte nicht jeder Telefon.  ... angerufen hatten nach Danzig zur Kreissparkasse Danzig: "Jung komm to huse, das Jeld licht hier am Strand ... Berje von Selber send hier." Du, denn war es bißchen später: "Jung, komm t'huse, de Lachs steit hier, dat Jeld, dat ..." Das war der Lachs. Ja dann kam Walter zurück, der ging so lahm, nich? Was soll ich Dir sagen, da ging er weg von der Sparkasse und fischte wieder, nich? Na ja, dann fiel ihm das Fischen schwer, dann hat er immer wieder versucht mal was anderes zu tun, nich? Bis dann 1932, da is er plötzlich auf Nerze gekommen, da fing Walter Hallmann, da fuhr er nach Ostpreußen und hat Zuchtnerze gekauft. Und dann fing er ganz ... , und dann wurde er ganz groß mit Nerz. Walter war nun der Urvater, sagten sie immer.  Dann war sein Bruder Hans ganz beachtlich, dann war mein Gerhard, dann war Bernhard Kohnke, und dann war Ernst Barth. Das waren beachtliche Nerzfarmen. Aber denn waren ... zig kleine, wo die Fischer sagten: "Mensch ein paar Nerze können wir uns dabei halten, das machen die Frauen." Und da waren, wie wir wegfuhren, Walter und Hans, Gerhard, Bernhard, Ernst Barlasch, fünf und zwanzig Kleine. So war's.

 

Lastenausgleich

„Du erzähltest doch gestern noch - vielleicht kannst Du das nochmal erzählen - , wie Du beim Lastenausgleich da schreiben mußtest. ... von den Grönwald ..."

"Ja, die haben mich angeschrieben vom Lastenausgleich, also der Brief ... Gerhard war schon verunglückt, war schon auf See geblieben, und da kam noch Post ... Am Anfang wußten wir das noch nicht, daß er auf der Doggerbank geblieben ist, und da, weißt du, da kam ja noch immer Post für ihn, unter anderem auch ein Brief vom Lastenaus ... Heimatauskunftsstelle Lastenausgleich Lübeck, an Herrn Gerhard Hallmann, das hab ich auch aufgemacht und denk ich muß mal kucken ... naja, und das war denn, das hatte ihm angelegen, schon wie er noch lebte, Karl Grönwald, waren ja ... zig Grönwald in Hela, und sein Erstgeborner war Davidchen, nannten sie ihn. Wieso das, weiß ich nicht, warum nicht. Und Davidchen war sehr ein guter tüchtiger Fischer immer gewesen und hat eine Frau, aber keine Helsche, er hatte eine Frau aus Pese (?). War mal am Leuchtturm, ihr Onkel, und dadurch hat sie ihn auch gefunden. Und dieser Davidchen war ein tüchtiger, besonders Lachsfischer, und hat natürlich manchmal soviel Geld verdient und hat sich denn auch immer Grundstücke geschaffen, unter anderem eines war auch ne Bäckerei. Aber die hat er denn, seine Kinder waren noch zu jung, aber denn vermietet an Kaschuben, nich? So, Lewandowski, und Häuser, Gästehaus und sowas alles, nich? Naja, nun fragt das Lastenausgleichsamt an, wie er zu soviel Grundstücke gekommen ist, ob das stimmt. Und da hab ich dem Lastenausgleichsamt geantwortet, erst mal ne Karte geschickt, mein Mann wäre tödlich verunglückt, bei der Fischerei auf der Doggerbank geblieben, und ich hätte diesen Brief geöffnet, und ich könnte ihnen die Auskunft geben genauso wie mein Mann, weil wir noch mit diesem Grönwald irgend ... immer noch Verbindung haben usw. Das könnte ich tun und könnte ihnen die Nachricht geben, nich? Und da hab ich das dann auch geschrieben und schrieb folgendes: Karl Grönwald war ein ganz hervorragender Fischer, besonders Lachsfischer, ja, und wenn der Lachs in Hela stand, dann waren sämtliche von allen Ecken und Kanten kamen die Pommern, Schweden, von Dänemark, und das lag alles im Hafen zum Lachsfang, und Karl Grünwald war immer einer von den Besten und von den Ersten. Er wurde ein sehr reicher Mann und hatte sich immer Grundstücke geschaffen. Und, meine Herren, ich kann Ihnen nur einen Satz schreiben, was für mich als einfache Frau, ich sag es so wie ich es spreche, wie ich es denke, daß er manchmal an einem Tag und einer Nacht durch den Lachs soviel verdient hat wie bei uns ein Minister im Monat. Das hab ich ihnen geschrieben, nich? Aber ich gönnte ihm immer den Reichtum, aber was er nun verloren hat, das kann er sich nicht mehr zurückerobern, wir haben alle das Gleiche verloren, die Heimat, die wunderschöne Heimat Hela, mit ihren guten Fangstellen und mit allem. Ein Stückchen, ein Fleckchen Erde, das der Hergott in die Ostsee, als ob er's hat fallenlassen wie so ne ... von Danzig und Zoppot ... so ne schöne Halbinsel. Aber Herr Grönwald kann sich das nicht mehr zurückerobern. Er hat seinen ältsten Sohn in Rußland lassen müssen, er hat seinen zweiten Sohn von der Westfront in Frankreich als Krüppel annehmen müssen und er hat seinen dritten Sohn als vermißt in Rußland lassen müssen. Also er ist schwer ... alle drei, das kann man nicht mehr zurückbekommen, auch nicht mit Geld. Hochachtungsvoll Eva Hallmann. Ja, so hab ich geantwortet, ja."

Nachtrag:

In den neunziger Jahren starb Tante Eva in Kappeln. Sie war längere Zeit vorher nicht mehr orientiert und erkannte kaum noch jemanden. Meine Schwester Erika rief bei ihr an, obwohl ihr gesagt worden war, es sei sinnlos, da man sich mit ihr nicht mehr verständigen könne. Aber erstaunlicherweise wußte Tante Eva, wer Erika war und sie sprachen auch ganz gut miteinander und als Erika sagte, sie überlege, ob sie sie einmal besuchen solle, sagte sie freudig ja, aber Erika solle noch etwas warten, denn sie sei jetzt gerade auf dem Schiff, um zurück nach Hela zu fahren, nach Hause. - Das ist das, was tief sitzt und bleibt, wenn schon alles andere verschwimmt.

Anm.: An wenigen Stellen war der Text auf dem Tonband nicht zu verstehen, daher stehen manchmal drei Punkte da.- (Aber nicht alle drei Punkte bedeuten Auslassungen.)

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